Sonntag, 27. Oktober 2013

Großskalige Eingriffe in das Klima?


Nach dem Umweltbundesamt hat nun auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung einen Bericht zum Thema Climate-Engineering mit dem Titel „Gezielte Eingriffe in das Klima?" veröffentlicht.

Auch wenn die Diskussion über Climate Engineering (CE) Konfikte in sich birgt, ist das vorliegende Material für alle beteiligten Seiten - insbesondere für Kritiker und Befürworter - ein wichtiger Lesestoff, weil er in dieser Form eine geradezu einmalige Auflistung möglicher Techniken und Risken ist. Ganz zu schweigen von den völkerrechtlichen Konsequenzen und Bedingungen, von ethischen oder religiösen Bedenken. 
Man sollte aber auch die Gefahr nicht geringschätzen, die nicht nur von wenig demokratischen Staatsgefügen ausgeht, auch die angeblich so gefestigten Demokratien haben in scheinbaren oder wirklichen Gefahrensituationen (man denke nur an die Terrorbekämpfung) rasch Prinzipien abgebaut, die als unantastbar galten. 
Auch Europa ist noch Meilen von wirklichen demokratischen Strukturen entfernt und gerade der Umgang mit der gegenwärtigen Krise stärkt nicht das Vertrauen in ein einst hoffnugsvolles Zukunftsmodell. Und die Versuchung Gott zu spielen hat in der Weltgeschichte weder mit dem Dr. Faustus angefangen noch aufgehört.

 „Gezielte Eingriffe in das Klima?" Der Bericht, der von einem interdisziplinären Wissenschaftsteam erstellt wurde, beinhaltet eine umfassende Bestandsaufnahme der Debatte über Climate-Engineering. Climate-Engineering (CE) ist ein Sammelbegriff für großskalige technische Eingriffe in das Klimasystem der Erde. Um die Debatte zu Climate Engineering transparent zu gestalten, hat das Kieler Earth Institute die Internetseite http://www.climate-engineering.eu/ eingerichtet. Dort finden Sie aktuelle Medienberichte und Studien zum Thema.

Die Autoren kommen insgesamt zu dem Schluss, dass einige CE-Konzepte zwar das Potential haben, den Treibhauseffekt abzuschwächen bzw. die globale Erwärmung zu reduzieren. Jedoch seien alle Vorschläge mit erheblichen ökologischen Risiken, ökonomischen Kosten und gesellschaftlichem Konfliktpotential verbunden.

CE-Verfahren lassen sich grob in zwei Gruppen einordnen. Zum einen werden Verfahren diskutiert, bei denen CO2 durch technische oder biochemische Maßnahmen aus der Atmosphäre gefiltert oder bei der Energiegewinnung abgeschieden und gespeichert wird. Ein Beispiel hierfür ist das Düngen der Meere, um das Wachstum von Algen zu fördern, die wiederum durch Photosynthese große Mengen CO2 binden. Zum anderen sind Verfahren im Gespräch, mit Hilfe derer, beispielsweise durch das Ausbringen von Schwefel-Aerosolen in die Atmosphäre, die Sonneneinstrahlung und damit das Aufheizen der Erde vermindert werden.

Pro. In der Wissenschaft ist eine intensive Debatte über das Für und Wider von CE-Maßnahmen entbrannt. Für den Einsatz von CE-Maßnahmen werden im Wesentlichen drei Argumente angeführt: Erstens seien CE-Technologien effizienter als die herkömmliche Emissionskontrolle, zweitens ließen sich die Klimaziele nicht ohne sie erreichen und drittens seien sie als Notfalloption erforderlich, sollte der Klimawandel trotz Emissionsminderungen eintreten und katastrophale Folgen nach sich ziehen.

Contra. Gegen den Einsatz von CE-Maßnahmen sprechen hingegen Bedenken bezüglich deren Wirksamkeit und ökonomischer Effizienz sowie eine Reihe risikoethischer und gerechtigkeitstheoretischer Argumente. Da beispielsweise CE-Maßnahmen nur von einem einzigen Staat durchgeführt werden können, könnten sie internationale Konflikte hervorrufen. Zudem existieren bisher keine Studien, die die gesamtwirtschaftlichen Kosten von CE-Maßnahmen berechnen. Darüber hinaus wird die Möglichkeit zur Erforschung aller Nebenwirkungen generell in Frage gestellt: „Selbst wenn ein Teil dieser Unsicherheiten über die Wirksamkeit und Nebenwirkungen durch weitere Erforschung des Erdsystems reduziert oder gar beseitigt werden kann, macht die Komplexität des Erdsystems Aussagen über die Wirkung und Nebenwirkungen von CE-Maßnahmen, gerade auf regionaler Ebene, schwierig. Auch zukünftige Forschungsanstrengungen im Rahmen von Modellrechnungen und Feldversuchen werden daher kein risikofreies Climate Engineering ermöglichen."

[Faires Europa.] ⇒
Lohnt sich ein Download? Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis klärt schnell:

Zusammenfassung für Entscheidungsträger  1
1 Klimapolitische Hintergründe und Aufbau der Sondierungsstudie  9
1.1 Gezielte Eingriffe in das Klimasystem: Climate Engineering  9
1.2 Anthropogener Klimawandel 10
1.3 Verlauf der klimapolitischen Diskussion 12
1.4 Climate Engineering als mögliche klimapolitische Option? 13
1.5 Entwicklung der weltweiten CE-Debatte 15
1.6 Zum Aufbau der Sondierungsstudie 17
2 Argumentationsanalyse der Gesamtdebatte 22
2.1 Die Makrostruktur der Debatte 24
2.2 Kritik der Forschung  27
2.2.1 Forschungsnebenfolgen  27
2.2.2 Alternativlosigkeit 28
2.3 Argumente für die Einsatzbereitschaft 29
2.3.1 Effizienz- und Machbarkeitsüberlegungen 29
2.3.2 Geringeres-Übel-Argumentation 30
2.3.3 Das 350ppm/2°C-Ziel  31
2.4 Argumente gegen Einsatz und Einsatzbereitschaft 32
2.4.1 Risikoethik  32
2.4.2 Gerechtigkeitstheoretische Einwände 33
2.4.3 Einsatznebenfolgen 34
2.4.4 Geopolitische Einwände 34
2.5 Direkte Begründungen des Forschungsverbotes  35
2.6 Querschnittsfrage: Priorität von Maßnahmen zur Emissionsvermeidung 35
2.7 Zusammenfassung der Argumentationsanalyse 36
3 Das Klimasystem der Erde und CE-Technologien 37
3.1 Atmosphärenphysikalische Grundlagen und Klassifizierung von Climate Engineering 37
3.1.1 Die Strahlungsbilanz der Erde 37
3.1.2 Der menschliche Einfluss auf die Strahlungsbilanz 39
3.1.3 Temperaturerhöhung durch Strahlungsantrieb 40
3.1.4 Kipppunkte im Klimasystem 41
3.1.5 Klassifizierung der Technologien 41
3.1.6 Grundsätzliche Nebenwirkungen von Radiation Management  42
3.2 RM-Technologien  44
3.2.1 Reflektoren im Weltall 44
3.2.2 Aerosole in der Stratosphäre  45
3.2.3 Modifikation von Zirruswolken 46
3.2.4 Modifikation mariner Schichtwolken 47
3.2.5 Modifikation der Erdoberflächenalbedo 8
3.3 CDR-Technologien  49
3.3.1 Physikalische Verfahren zur marinen Kohlenstoffaufnahme 50
3.3.2 Chemische Verfahren zur marinen Kohlenstoffaufnahme 51
3.3.3 Biologische Verfahren zur marinen Kohlenstoffaufnahme  51
3.3.4 Chemische Kohlenstofffilterung aus der Luft (Air Capture) 53
3.3.5 Biologische Verfahren zur terrestrischen Aufnahme und Speicherung
von Kohlenstoff 54
3.4 Zusammenfassung naturwissenschaftlicher und technischer Aspekte 55
4 Gesamtwirtschaftliche Kosten und Effekte 57
4.1 Gesamtwirtschaftliche Kosten von CE-Technologien  58
4.1.1 Kostenvergleich mit Emissionskontrolle  58
4.1.2 Betriebskosten 59
4.1.3 Preis- und Skaleneffekte  63
4.1.4 Externe Kosten 64
4.2 Gesamtwirtschaftliche Effekte 66
4.2.1 Substitutionalität von Emissionskontrolle und Climate Engineering  66
4.2.2 Climate Engineering als Risikovorsorge 67
4.2.3 Bewertung langfristiger Auswirkungen  68
4.2.4 Internationale Zielkonflikte 69
4.2.5 Strategische Vorteile von CDR 70
4.2.6 Intergenerationale Interessengegensätze 70
4.2.7 Erforschung von Climate Engineering  71
4.3 Implementierung von CE-Maßnahmen  71
4.3.1 Die Rolle der Skalen  71
4.3.2 Instrumente für einen CE-Einsatz 72
4.4 Zusammenfassung der gesamtwirtschaftlichen Aspekte 73
5 Gesellschaftliche Risikodiskurse und Öffentlichkeitsbeteiligung 77
5.1 Gesellschaftliche Risikowahrnehmung  77
5.2 Gesellschaftliche Risikodiskurse und -wahrnehmung in Literatur, Medien
und Öffentlichkeit 79
5.2.1 Sozialwissenschaftliche Literatur 79
5.2.2 Medien  80
5.2.3 Stakeholder  82
5.2.4 Öffentliche Wahrnehmung  84
5.3 Ergebnisse des Experten-Delphi 86
5.3.1 Konfliktpotenzial 86
5.3.2 Vergleichbarkeit mit anderen Technologiediskursen 88
5.3.3 Partizipationsmöglichkeiten der Öffentlichkeit im Konfliktfall 89
5.3.4 Entwicklung von Kommunikations- und Diskursstrategien 90
5.4 Zusammenfassung gesellschaftlicher Aspekte 91
6 Instrumente und Institutionen des internationalen Rechts  95
6.1 Bereichsübergreifende Instrumente  96
6.2 Völkerrechtmäßigkeit spezifischer CE-Maßnahmen 98
6.2.1 Völkerrechtmäßigkeit von RM-Maßnahmen 98
6.2.2 Völkerrechtmäßigkeit von CDR-Maßnahmen  105
6.3 Vorgaben des Völkergewohnheitsrechts  110
6.4 Allgemeine Vorgaben zur Haftung im Völkerrecht  111
6.5 Künftige Entwicklungen 112
6.6 Zusammenfassung der Aspekte des internationalen Rechts  115
7 Internationale Koordination und Regulierung  119
7.1 Internationale Kooperationsanforderungen für Forschung und Einsatz 121
7.2 Soziale und politische Nebenfolgen uni- oder minilateraler Politiken  124
7.3 Vorschläge für das institutionelle Design einer multilateralen Regulierung  128
7.4 Anforderungen an eine internationale Regulierung  130
7.5 Zusammenfassung der Aspekte internationaler Koordination und Regulierung  132
8 Zusammenfassende Betrachtung und Implikationen  135
8.1 Fragestellungen für eine Bewertung von Climate Engineering  136
8.1.1 Sollten CE-Technologien eingesetzt werden?  136
8.1.2 Sollten CE-Technologien erforscht werden? 147
8.2 Bedeutung der bisherigen Befunde für die Bewertung einzelner CE-Technologien  153
8.2.1 RM-Technologien  153
8.2.2 CDR-Technologien  154
8.3 Schlussbetrachtung  156
Literaturverzeichnis  161