Freitag, 27. Juli 2012

Nils Muižnieks, Menschenrechtskommissar des Europarates: Vorurteile gegenüber Muslimen erschweren Integration

Die Muslime in Europa wollen mit anderen Europäern interagieren und als vollwertige und gleichberechtigte Mitglieder am gesellschaftlichen Leben teilhaben, doch sie stehen regelmäßig verschiedenen Formen von Vorurteilen, Diskriminierung und Gewalt gegenüber, die ihre soziale Ausgrenzung verstärken. 

So lautet die Schlussfolgerung der jüngsten Untersuchungen, die von mehreren internationalen Organisationen und NGOs durchgeführt wurden (siehe Links weiter unten). Leider haben die Kommentatoren des Arabischen Frühlings eine historische Gelegenheit verstreichen lassen, um schädliche Stereotypen über die vermeintliche Unvereinbarkeit von Islam und Demokratie zu zerstreuen, und es stattdessen vorgezogen, die Gefahr massiver Migrationsströme nach Europa aufzubauschen, erklärt Nils Muižnieks, Menschenrechtskommissar des Europarates, in seinem heute veröffentlichten aktuellen Menschenrechtskommentar.
  • Muslime als Sinnbild für Andersartigkeit im europäischen politischen Diskurs
Die Muslime sind im Diskurs der populistischen Rechten in Europa zum Sinnbild der Andersartigkeit geworden. Politische Parteien in Österreich, Bulgarien, Belgien, Dänemark, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Norwegen und der Schweiz haben gegen Muslime gerichtete Rhetorik verwendet, um sich einen politischen Vorteil zu verschaffen. Bei Debatten über das angebliche „Scheitern des Multikulturalismus“ beziehen sich Politiker zwar oft auf Muslime. Jedoch wurde der Multikulturalismus als Strategie zur Förderung des interkulturellen Dialogs bei gleichzeitiger Wahrung der kulturellen Identitäten in den meisten Ländern kaum erprobt.

Seit den Terroranschlägen vom 11. September und danach sind Muslime in der öffentlichen Meinung untrennbar mit dem Terrorismus verbunden. Doch dienen einige der schrecklichsten Anschläge der vergangenen Jahre in Europa – die rassistische Mordserie in Deutschland und das skrupellose vorsätzliche Massaker an etlichen unschuldigen Menschen durch einen norwegischen Extremisten – als Warnung vor den Gefahren der extremistischen Rechten und als Erinnerung daran, dass Terroristen verschiedene ideologische Überzeugungen haben.
  • Restriktive Gesetze und Politik zielen auf Muslime ab
Einige etablierte Parteien haben sich das Misstrauen gegenüber Muslimen zunutze gemacht, indem sie gegen diese Bevölkerungsgruppe gerichtete restriktive gesetzgeberische Maßnahmen unterstützt haben. In Belgien und in Frankreich wurden Gesetze verabschiedet, die seit 2011 eine Geldstrafe oder ein „Bürgertraining“ für Frauen vorsehen, die im öffentlichen Raum einen Ganzkörperschleier tragen. In Italien haben sich kommunale Gebietskörperschaften auf ein altes Antiterrorgesetz berufen, das die vollständige Verhüllung des Gesichts aus Sicherheitsgründen untersagt, um Frauen mit Ganzkörperschleier zu bestrafen. In Österreich, Bosnien und Herzegowina, Dänemark, den Niederlanden, Spanien und der Schweiz wurden ähnliche Initiativen diskutiert.

Nach einer von muslimfeindlichen Äußerungen geprägten Kampagne hat sich Ende 2009 eine Mehrheit der schweizerischen Wählerschaft für ein Verbot zum Bau von neuen Minaretten ausgesprochen. Diese Abstimmung hat die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) dazu veranlasst, eine Erklärung zu veröffentlichen (ein Verfahren, dass selten genutzt wird), um die Diskriminierung von Muslimen und den Angriff auf ihre Religionsfreiheit in der Schweiz zu verurteilen. Kommunale Behörden zeigen sich in zahlreichen europäischen Städten hinsichtlich der Erteilung von Baugenehmigungen bei Moscheen sehr viel zurückhaltender als bei anderen Kultstätten.
  • Muslime sind Diskriminierung und übermäßigen Kontrollen ausgesetzt
Aus einer aktuellen Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) geht hervor, dass einer von drei Muslimen in der EU während der vergangenen 12 Monate Opfer von Diskriminierung war, wobei Jugendliche am stärksten betroffen waren. Darüber hinaus sind einem vor kurzem von Amnesty International veröffentlichten Bericht zufolge viele muslimische Frauen der Ansicht, dass sie keine Chance haben, einen Arbeitsplatz zu finden, aufgrund der politischen Maßnahmen, die das Tragen von religiösen oder kulturellen Symbolen und religiöser oder kulturell geprägter Kleidung einschränken.

Polizei, Zoll- und Grenzschutzbehörden wenden eine besonders schädliche Form der Diskriminierung an, wenn sie sich bei der Fahndung auf eine Kategorisierung nach ethnischen oder religiösen Merkmalen einlassen, die sich gegen Muslime richtet, indem diese lediglich aufgrund ihres Erscheinungsbildes angehalten werden. Laut der genannten Studie der FRA wurde ein Viertel der befragten Muslime im vergangenen Jahr von der Polizei angehalten und ein Drittel wurde von Zoll- oder Grenzschutzbehörden angehalten. Profilerstellung aufgrund ethnischer oder religiöser Merkmale ist nicht nur diskriminierend, sondern auch kontraproduktiv, da die Aufmerksamkeit von verdächtigen Verhaltensweisen auf das Erscheinungsbild gelenkt wird und die Gemeinschaften zum Feind gemacht werden, mit denen die Strafverfolgungsbehörden eigentlich zusammenarbeiten müssten.

Die Aufgaben der Regierungen. Die Regierungen müssen von Gesetzen und Maßnahmen, die besonders auf Muslime abzielen, Abstand nehmen und Diskriminierung aufgrund der Religion oder Überzeugungen in allen Bereichen verbieten. Sie sollten außerdem unabhängige Gleichstellungsorgane und Ombudspersonen bevollmächtigen, Beschwerden zu prüfen, den Opfern Rechtsberatung und Vertretung vor Gericht zur Verfügung zu stellen, Politikberatung anzubieten und Untersuchungen zur Diskriminierung von Muslimen und anderen religiösen Gruppen durchzuführen. Bei der Beobachtung der Diskriminierung von Muslimen sollte die Erhebung von nach ethnischer Herkunft, Religion und Geschlecht getrennten Daten einbezogen werden.

Parallel dazu sollten die Regierungen die Vorurteile und Intoleranz der öffentlichen Meinung gegenüber Muslimen bekämpfen. Dabei bietet die Allgemeine politische Empfehlung Nr. 5 von ECRI „Bekämpfung von Intoleranz und Diskriminierung gegenüber Muslimen“ praktische Orientierung. Darüber hinaus haben die OSZE, die UNESCO und der Europarat 2011 einen hilfreichen „Pädagogischen Leitfaden zur Bekämpfung von Diskriminierung und Intoleranz gegenüber Muslimen“ herausgegeben.

Es ist an der Zeit, Muslime als integralen Bestandteil der europäischen Gesellschaften mit einem Anspruch auf Gleichberechtigung und Würde anzuerkennen. Vorurteile, Diskriminierung und Gewalt erschweren nur die Integration. Wir brauchen einen „europäischen Frühling“, um die alten und neuen Formen von Rassismus und Intoleranz zu überwinden.

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