Mittwoch, 30. Oktober 2019

[ #Arbeitswelt ] Arbeitskämpfe im Wandel: Sind gesetzgeberische Konsequenzen beim Streikrecht notwendig?


Arbeitskämpfe waren in den vergangenen Jahrzehnten – im Gegensatz zu den auch durch „wilde“ Streiks gekennzeichneten 1960er und 1970er Jahren kein prominenter Gegenstand der Forschung über Arbeitsbeziehungen. Der Grund liegt wohl in der Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland zu den streikarmen Ländern gehört. Dasselbe gilt wohl auch für Österreich oder die Schweiz.

Doch seit Anfang/Mitte der 2000er Jahre kommt Streiks, vor allem ihren veränderten Formen und Konsequenzen, im Zusammenhang von Berufsgewerkschaften (wieder) erhöhte Bedeutung zu. Berufsgewerkschaften sind nicht allein wegen ihrer Größe bzw. der Zahl ihrer Mitglieder oder hohen Organisationsgrade von Interesse, sondern auch wegen der – behaupteten weitreichenden – Folgen, die ihre (Streik-)Aktionen für am Tarifkonflikt unbeteiligte Dritte haben können. Wegen dieser externen Effekte fordern gegenwärtig mehrere Akteure weitgehende Einschränkungen des Streikrechts.

In diesem Kontext stellen sich folgende Fragen, die nicht durch Deduktion aus hypothetischen Annahmen oder Ableitung aus juristischen Kategorien, sondern nur auf empirischer Basis zu klären sind: Finden Arbeitskämpfe tatsächlich häufiger statt, weil nicht nur Industrie-, sondern auch Berufsgewerkschaften Kollektivverhandlungen führen? Verändert sich das Konfliktniveau durch die Etablierung zusätzlicher Tarifparteien? Verändern sich die Streikmuster, etwa in Richtung auf kürzere Streiks? Sind die Auswirkungen bzw. Kosten tatsächlich so gravierend wie häufig behauptet? Bestehen Unterschiede zwischen den Streikmustern einzelner Berufsgewerkschaften, vor allem in Bezug auf die Häufigkeit vonStreiks?
Berndt Keller, emeritierter Professor für Arbeits- und Sozialpolitik an der Universität Konstanz, hat für die FES (Friedrich-Ebert-Stiftung) auf der Grundlage empirischer Daten Folgen und juristische Konsequenzen für das Streikrecht untersucht. Er stellt fest: 
"Die mehrfach erhobenen Forderungen nach einer deutlichen Einschränkung des Streikrechts sind auf Basis der vorliegenden Daten nicht nachzuvollziehen."
Die Entwicklung der „klassischen“ Streikindikatoren (Zahl und Dauer, Zahl der Teilnehmer_innen und der Ausfalltage) und damit der einzelwirtschaftlichen Kosten liefern keine hinreichende empirische Fundierung. Auch andere Begründungen (wie Drittwirkungen bzw. externe Effekte) lassen einen derart massiven Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Recht der Koalitionsfreiheit weder notwendig noch gerechtfertigt erscheinen; die Bundesrepublik war nie und ist nach wie vor nicht die befürchtete „Streikrepublik“. Die Drittwirkungen bzw. gesamtwirtschaftlichen Kosten werden von den BefürworterInnen einer Einschränkung des Streikrechts überschätzt.

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