Freitag, 22. Juni 2012

EU-Kommission fordert Österreich zur Wahrung der Bürgerrechte auf

Freizügigkeit von Familienangehörigen von EU-Bürgern in Österreich, Deutschland und Schweden verbesserungsfähig.

Die Europäische Kommission gibt Österreich, Deutschland und Schweden zwei Monate Zeit, um die EU-Vorschriften über die Freizügigkeit von EU-Bürgern und ihrer Familienangehörigen innerhalb der EU umzusetzen. Die Aufforderung der Kommission ergeht in Form von „mit Gründen versehenen Stellungnahmen“, dem zweiten von drei Schritten von EU-Vertragsverletzungsverfahren. Sollte die Kommission binnen zweier Monate keine zufriedenstellende Antwort erhalten, kann sie die drei Staaten beim Gerichtshof der Europäischen Union verklagen.

Mit den Vorschriften in der EU-Richtlinie 2004/38/EG über die Freizügigkeit wird sichergestellt, dass EU-Bürger und ihre Familien in der gesamten EU ungehindert reisen, leben und arbeiten können. Die Richtlinie musste bis April 2006 in nationales Recht umgesetzt werden. Bisher wurden mehr als 90 Prozent der Umsetzungsmängel in bilateralen Gesprächen mit den EU-Mitgliedstaaten behoben, einige konnten aber noch nicht ausgeräumt werden.

Im Jahr 2011 hat die Kommission Vertragsverletzungsverfahren gegen Belgien, Deutschland, Italien, Litauen, Malta, Polen, Österreich, Spanien, Schweden, die Tschechische Republik, das Vereinigte Königreich und Zypern eingeleitet. Der zweite Schritt des Verfahrens wurde im Januar 2012 gegen die Tschechische Republik und Litauen (IP/12/75) und im April 2012 gegen das Vereinigte Königreich (IP/12/417) eingeleitet. Jetzt folgen drei weitere mit Gründen versehene Stellungnahmen an Österreich, Deutschland und Schweden.

Österreich. Österreich gewährt den Angehörigen des „erweiterten“ Familienkreises eines EU-Bürgers, der in einen anderen Mitgliedstaat umgezogen ist, nicht die in der Richtlinie vorgesehenen Rechte. Angehörige des erweiterten Familienkreises sind z. B. Onkel/Tanten oder Cousins/Cousinen eines EU-Bürgers, die in ihrem Herkunftsland finanziell von ihm abhängig sind. Gemäß der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten die persönlichen Umstände dieser Personen genau untersuchen und eine Verweigerung von Einreise oder Aufenthalt begründen. Wurde ihnen die Einreise und der Aufenthalt gestattet, so genießen sie sämtliche von der Richtlinie zugestandenen Rechte (d. h. Schutz gegen Ausweisung, Recht auf Aufnahme einer Beschäftigung usw.). Nach österreichischem Recht wird Angehörigen des erweiterten Familienkreises keine „Aufenthaltsgenehmigung für Familienangehörige eines EU-Bürgers“, sondern eine „Niederlassungsbewilligung – Angehöriger“ ausgestellt, die nur für ein Jahr gültig ist (und nicht, wie in der Richtlinie vorgesehen, für fünf Jahre bzw. den vorgesehenen Zeitraum des Aufenthalts des EU-Bürgers, wenn dieser Zeitraum kürzer als fünf Jahre ist). Sie können auch nicht automatisch eine Beschäftigung aufnehmen, sondern müssen um eine spezielle Bewilligung ansuchen, die ihnen Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt, sofern weitere Bedingungen erfüllt sind. Das österreichische Recht ist also nicht vollständig mit der Richtlinie konform.

Deutschland. In Deutschland wurde die Richtlinie in drei Punkten nicht korrekt umgesetzt. Erstens wurde kein Verfahren zur Erleichterung von Einreise und Aufenthalt für Angehörige des erweiterten Familienkreises eines EU-Bürgers eingeführt, wie in der Richtlinie vorgesehen.

Zweitens hat Deutschland keine rechtlichen Maßnahmen getroffen, um zu gewährleisten, dass den Angehörigen des erweiterten Familienkreises sämtliche von der Richtlinie zugestandenen Rechte gewährt werden (siehe die Ausführungen zu Österreich). Zum Beispiel wird ihnen (als Unionsbürger) keine Anmeldebescheinigung oder (als Drittstaatsangehörige) keine Aufenthaltskarte wie für Angehörige der Kernfamilie ausgestellt.

Drittens sind Entscheidungen zur Ausweisung von EU-Bürgern und ihrer Familienangehörigen nach Recht und Gesetz mit einem unbefristeten Aufenthaltsverbot verbunden. Das Verbot der Wiedereinreise in deutsches Hoheitsgebiet kann nur auf Antrag des Betreffenden zeitlich befristet werden. Aufenthaltsverbote stellen die absolute Negierung des Rechts auf Freizügigkeit innerhalb der EU dar. Die Tatsache, dass Aufenthaltsverbote nach Recht und Gesetz unbefristet sind, entspricht nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - einem der Grundsätze des Rechtssystems der EU.


Schweden. In Schweden wurden elf Punkte unvollständiger oder nicht korrekter Umsetzung moniert. Die wichtigsten sind:

Der Geltungsbereich des schwedischen Gesetzes in Bezug auf Angehörige des „erweiterten“ Familienkreises ist enger als der Geltungsbereich der Richtlinie. Daher unterliegen einige Angehörige des erweiterten Familienkreises, die in den Genuss der von der Richtlinie geschaffenen Rechte kommen sollten, weiterhin den schwedischen Einwanderungsvorschriften wie alle anderen Drittstaatsangehörigen.

In Schweden gibt es kein Verfahren zur Erleichterung von Einreise und Aufenthalt für Angehörige des erweiterten Familienkreises, und es ist auch keine Anmeldebescheinigung (für Unionsbürger) oder Aufenthaltskarte (für Drittstaatsangehörige) für diese Familienmitglieder vorgesehen, wie nach der Richtlinie erforderlich.

In Schweden ist weder ein beschleunigtes Verfahren für die Visaausstellung für Familienangehörige von EU-Bürgern vorgesehen, noch sind diese kostenlos. Dies führt zu hohem Verwaltungsaufwand für Familienangehörige, sowohl aus Drittstaaten als auch aus der EU, was sie daran hindern kann, den EU-Bürger zu begleiten oder ihm nachzufolgen. Auch kann das Verfahren übermäßig kompliziert werden, z. B. wenn sie um eine nationale Aufenthaltsbewilligung ansuchen müssen, um sich legal in Schweden aufzuhalten. Die Lage ist umso ernster, weil Entscheidungen über die Ablehnung von Anträgen auf Anmeldebescheinigungen und Aufenthaltskarten nach geltendem schwedischen Recht nicht angefochten werden können.

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Europäische Kommission: Unionsbürgerschaft – Reise und Aufenthalt