Samstag, 30. Juni 2012

Europäische Parteiendemokratie?

Dissertation über "Institutionelle Voraussetzungen und Funktionsbedingungen der europäischen Parteien zur Minderung des Legitimationsdefizits der EU" steht zum kostenlosen Download online.

Europäische politische Parteien wurden mit dem Vertrag von Maastricht 1992 eingeführt. In Art.191 EGV werden die Aufgaben der europäischen politischen Parteien wie folgt beschrieben: "Politische Parteien auf europäischer Ebene sind wichtig als Faktor der Integration in der Union. Sie tragen dazu bei, ein europäisches Bewusstsein herauszubilden und den politischen Willen der Bürger der Union zum Ausdruck zu bringen."

Historie. Die Parteien auf europäischer Ebene entstanden aus europaweiten Parteibündnissen und aus den Fraktionen im Europäischen Parlament, wobei sich heute umgekehrt auch wieder die Fraktionen des Europaparlaments vor allem aus den europäischen Parteien bilden.

Das Europäische Parlament ist – ebenso wie ein nationales Parlament – nicht entlang nationaler Gruppen, sondern weltanschaulicher Fraktionen organisiert. Diese setzen sich aus Europaabgeordneten mit ähnlichen politischen Ansichten zusammen und entsprechen im Wesentlichen den europäischen politischen Parteien. Allerdings bilden häufig verschiedene Europaparteien eine gemeinsame Fraktion und in mehreren Fraktionen sind auch parteilose Abgeordnete vertreten. Zur Gründung einer Fraktion sind seit der Europawahl 2009 mindestens 25 Abgeordnete aus mindestens einem Viertel der Mitgliedstaaten (also sieben) erforderlich.

Dabei entsprechen sich Parteien und Fraktionen nicht völlig, einige Fraktionen bestehen aus mehreren europäischen politischen Parteien, in vielen Fraktionen finden sich außerdem Abgeordnete nationaler Parteien, die keiner europäischen Partei angehören. Derzeit gehören 674 der 732 Mitglieder des Europaparlaments, also 92%, einer europäischen politischen Partei an.

Open Access. Auf dem Server der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin steht eine Dissertation zum Thema bereit, die sich auf 459 Seiten mit der europäischen Parteiendemokratie auseinandersetzt. Eine Fundgrube zur politischen Organisations- und Ideengeschichte des Abendlandes.
Abstract. Das jedem Herrschaftssystem immanente Legitimationsproblem konnte in allen EU-Mitgliedstaaten durch die Etablierung nationaler Parteiendemokratien weitgehend behoben werden. Mit der europäischen Integration ging jedoch die sukzessive Übertragung unmittelbarer Hoheitsgewalt von den Nationalstaaten auf Gemeinschaftsorgane einher, die nicht demokratisch legitimiert waren. 
Infolgedessen wurde die These vom "demokratischen Defizit" der Europäischen Union zum kanonisierten Faktum der Integrationsforschung. Diese verfolgte bei der Suche nach Möglichkeiten zur Minderung des Demokratiedefizits vielfältige Wege, vernachlässigte allerdings einen Aspekt: Obwohl angesichts der nationalstaatlichen Legitimationsvermittlung durch politische Parteien die Entwicklung entsprechender intermediärer Einrichtungen auf der europäische Ebene naheliegt, hat die Politikwissenschaft diesbezüglich keine umfassenden Untersuchungen hervorgebracht. 
Um hier einen Beitrag zu leisten, geht die vorliegende Arbeit zunächst der Legitimationsvermittlung der mitgliedstaatlichen Parteiendemokratien nach. Indem das dort erreichte Legitimationsniveau anschließend mit demjenigen der Europäischen Union konfrontiert wird, sollen einerseits Eigenarten der supranationalen Herrschaftsausübung berücksichtigt und zugleich Untersuchungskategorien für die nachfolgende Analyse der Möglichkeiten europäischer Parteien zur Legitimationsvermittlung entwickelt werden. 
Zu diesem Zweck sind im Fazit vor allem zwei konkrete Maßnahmen benannt: Die gegenwärtigen Parteienzusammenschlüsse können durch institutionelle Voraussetzungen und die Verpflichtung auf geeignete Funktionsbedingungen zu einer europäischen Parteiendemokratie ausgebaut werden und einen maßgeblichen Beitrag zur Minderung des Demokratiedefizits der EU leisten.
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Lohnt sich ein Download? Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis:

Inhaltsübersicht V
Vorwort  XI
Einleitung 1
1. Einführung in den Forschungsgegenstand 1
2. Forschungsstand und Grundpositionen 3
3. Intentionen der Studie  6
4. Methodisches Vorgehen  8
I. Nationalstaatliche Parteiendemokratie als Schlüssel zum Legitimationsproblem 11
1. Das Legitimationsproblem 11
1.1. Ursprünge und Konstanten der Problematik  12
1.2. Legitimationsgrundlagen der europäischen Staaten 14
1.3. Demokratische Legitimation  16
1.4. Bedingungsfaktoren demokratischer Willensbildung 19
2. Mittelbare Legitimation durch Parteiendemokratie 21
2.1. Gründung politischer Parteien  22
2.2. Anfänge der Parteienforschung 25
2.3. Etablierung des Parteienstaates 27
2.4. Verfassungsmäßige Inkorporation von Parteien 30
2.5. Wahlrechtliche Vorschriften  33
2.6. Parteifunktionen und Organisationsmerkmale 36
3. Die nationalen Parteiensysteme der 15er-EU  39
3.1. Normative Grundlagen  40
3.2. Mitgliedschaftstypen  44
3.3. Innerparteiliche Organisation und Personalrekrutierung 48
3.4. Willensbildung und Programmformulierung 51
3.5. Politikgestaltung durch Regierungsparteien  53
3.6. Kontrolle durch Oppositionsparteien  56
4. Nationalstaatliche Ansätze der Parteiendemokratien zur Lösung des Legitimationsproblems 60
II. Das europäische Legitimationsproblem  67
1. Die Genese des europäischen Legitimationsproblems 67
1.1. Der internationale Charakter der EGKS 69
1.2. Supranationale Elemente der EWG 74
1.3. Unmittelbare Wahlen zum Europäischen Parlament 78
1.4. EEA und Maastricht – Etappen der Demokratisierung 83
1.5. Rückbau des Demokratiedefizits durch Amsterdam, Nizza und das Parteienstatut  88
2. Legitimatorische Anforderungen an die Europäische Union  91
2.1. Legitimationsvermittlung durch das Europäische Parlament 92
2.2. Legitimationsvermittlung durch den Europäischen Rat und die Kommission  95
2.3. Das europäische Legitimationsniveau  97
2.4. Zur Notwendigkeit einer europäischen Legitimation 100
2.5. Auffassungen der Mitgliedstaaten  102
2.6. Der Legitimationsanspruch an die Europäische Union  104
3. Voraussetzungen für einen legitimatorischen Mehrwert der europäischen Parteien  106 VIII
III. Die europäischen Parteien 112
1. Europäische Volkspartei  113
1.1. Historische Entwicklung  113
1.1.1. Die Anfänge christlich-demokratischer Kooperationen  113
1.1.2. Die Gründung der EVP  115
1.1.3. Herausforderungen nach der unmittelbaren Wahl des EP  119
1.1.4. Vorbereitungen auf die Osterweiterung 121
1.1.5. “Towards the Majority”  123
1.1.6. Entwicklungsstränge 126
1.2. Organisationsform  128
1.2.1. Normative Grundlagen 129
1.2.2. Mitgliedschaftstypen 132
1.2.3. Organe und ihre Willensbildung  138
1.2.4. Finanzierung und Infrastruktur  144
1.2.5. Vereinigungswesen  153
1.2.6. Möglichkeiten zur Politikgestaltung  159
1.3. Programmatik 166
1.3.1. Grundsätze  166
1.3.2. Konzepte zur Fortentwicklung der Gemeinschaftsorgane  170
1.3.3. Europapolitische Akzente 174
1.3.4. Zusammenfassung  179
1.4. Das Legitimationspotential der EVP  182
2. Sozialdemokratische Partei Europas 187
2.1. Historische Entwicklung  187
2.1.1. Die Sozialistischen Internationalen 187
2.1.2. Die Zusammenarbeit sozialdemokratischer Parteien in der EG  191
2.1.3. Der Bund der sozialdemokratischen Parteien in der EG 194
2.1.4. Die Sozialdemokratische Partei Europas 198
2.1.5. Entwicklungsstränge 202
2.2. Organisationsform  204
2.2.1. Normative Grundlagen 205
2.2.2. Mitgliedschaftstypen 207
2.2.3. Gremien und ihre Willensbildung  211
2.2.4. Finanzierung und Infrastruktur  216
2.2.5. Der Ständige Frauenausschuß, ECOSY und die weiteren Vereinigungen 221
2.2.6. Möglichkeiten zur Politikgestaltung  227
2.3. Programmatik 230
2.3.1. Grundsätze  231
2.3.2. Konzepte zur Fortentwicklung der Gemeinschaftsorgane  233
2.3.3. Europapolitische Akzente 237
2.3.4. Zusammenfassung  241
2.4. Das Legitimationspotential der SPE 243
3. Europäische Liberale Demokraten und Reform Partei  249
3.1. Historische Entwicklung  249
3.1.1. Die Liberale Internationale 249
3.1.2. Die Europäischen Liberalen Demokraten  251
3.1.3. Die Europäische Liberale Demokraten und Reform Partei  254
3.1.4. Entwicklungsstränge 256
3.2. Organisationsform  258
3.2.1. Normative Grundlagen 259
3.2.2. Mitgliedschaftstypen 261
3.2.3. Organe und ihre Willensbildung  264
3.2.4. Finanzierung und Infrastruktur  267
3.2.5. Liberal and Radical Youth Movement of the European Union  273
3.2.6. Möglichkeiten zur Politikgestaltung  276
3.3. Programmatik 278
3.3.1. Grundsätze  279
3.3.2. Konzepte zur Fortentwicklung der Gemeinschaftsorgane  281
3.3.3. Europapolitische Akzente 285
3.3.4. Zusammenfassung  288
3.4. Das Legitimationspotential der ELDR 289 IX
4. Europäische Grüne Partei 293
4.1. Historische Entwicklung  293
4.1.1. Die Europäische Koordination Grüner Parteien und ihre Vorläufer  293
4.1.2. Die Europäische Föderation Grüner Parteien  296
4.1.3. Die Europäische Grüne Partei  298
4.1.4. Entwicklungsstränge 300
4.2. Organisationsform  301
4.2.1. Normative Grundlagen 302
4.2.2. Mitgliedschaftstypen 304
4.2.3. Organe und ihre Willensbildung  307
4.2.4. Finanzierung und Infrastruktur  311
4.2.5. The Federation of Young European Greens 315
4.2.6. Möglichkeiten zur Politikgestaltung  317
4.3. Programmatik 320
4.3.1. Grundsätze  320
4.3.2. Konzepte zur Fortentwicklung der Gemeinschaftsorgane  322
4.3.3. Europapolitische Akzente 325
4.3.4. Zusammenfassung  327
4.4. Das Legitimationspotential der EGP  329
IV. Die Legitimationsvermittlung durch die europäischen Parteien 335
1. Die historische Entwicklung des europäischen Parteiensystems 335
1.1. Ursprünge 336
1.2. Gründung 337
1.3. Etablierung 339
1.4. Vertragsmäßige Inkorporation 341
1.5. Erweiterungen  343
1.6. Legitimationsstränge 345
2. Organisationsformen  347
2.1. Normative Grundlagen  347
2.2. Mitgliedschaftstypen  350
2.3. Organe und ihre Willensbildung  353
2.4. Finanzierung und Infrastruktur 360
2.5. Vereinigungen 365
2.6. Möglichkeiten zur Politikgestaltung  367
3. Programmatik  371
4. Zusammenfassung  373
Schlußfolgerungen und Perspektiven  376
Anhang 382
1. Vertragsgrundlagen  382
2. Die Wahlen zum Europäischen Parlament 396
3. Die Präsidenten des Europäischen Parlaments (und seiner Vorläufer) 402
Abkürzungsverzeichnis  403
Bibliographie  411