Freitag, 20. April 2012

Open Petition: Für ein eigenständiges EU-Jugendprogramm

Von: Tilman von Berlepsch aus Berlin
An:   Committee on Petitions (Petitionsausschuß) in Europäische Union Keine Stellungnahme

Fortschritt statt Rücktritt – Jugend wieder für voll nehmen

Stellungnahme zum Vorschlag der EU-Kommission für das Programm „Erasmus für Alle“

Europäisches Gegenargument: Die EU-Jugendstrategie als gemeinsame Jugendpolitik

Die erst 2009 beschlossene EU-Jugendstrategie wird durch den Programmvorschlag ausgebootet und in Bezug auf die Leitinitiative „Jugend in Bewegung“ im Rahmen von Europa 2020 zum Instrument der Wachstums- und Wirtschaftsstrategie der Europäischen Union umgedeutet. Gesellschaftliches Engagement sowie informelle und non-formale Bildung werden somit nicht mehr als Wert für sich betrachtet. Sie dienen nur noch „zum Zwecke der Beschäftigungsfähigkeit“. In der EU-Jugendstrategie festgehaltene Aufgaben der EU, wie die Förderung von Chancengerechtigkeit, informellem und non-formalem Lernen und der Jugendpolitik werden durch den Programmentwurf ausgeklammert und nur noch als undefinierte Randnotizen erwähnt. Eine deutlich einseitige Schwerpunktsetzung vor allem auf Hochschul- und Berufliche Bildung und die bekannte „Marke“ Erasmus unterstreicht diese Tendenzen. Die Einführung einer Förderpauschale und die Verlagerung der Verantwortlichkeiten auf einzelne nationale Ministerien werden durch eine organisatorische und bürokratische Vereinfachung begründet. Eine ausreichende Beachtung der vielfältigen Bedürfnisse der kleinen Jugendinitiativen und außerschulischen Träger der Jugendhilfe lässt sich so nicht gewährleisten. Informelles Lernen und soziale Kompetenzen sollen zukünftig ausschließlich über die Bildungsressorts der Länder gefördert werden. Die Effizienz dieses Plans sollte hinterfragt werden: Wir finden es – gerade in Bezug auf die föderale Bundesländerzuständigkeit - falsch, dem Bildungsministerium und den Kultusministerien, welche große Versäumnisse in der sinnvollen Ausgestaltung der Ganztagsschule zu verzeichnen haben, als federführend für außerunterrichtliche informelle und non-formale Angebote zu bestimmen, obgleich keine Expertise in diesem Bereich existiert.

Die Alternative: Ein großes Programm mit eigenem Jugend-Strang


Die nachgewiesene Wirksamkeit und der Mehrwehrt des bisherigen Jugendprogrammes wurden von der EU-Kommission vor kurzem selbst noch bestätigt (siehe: Bericht der Kommission zur Bewertung der Zwischenevaluation). Ein derartiger Richtungswechsel zu „Erasmus für Alle“ ist daher überaus seltsam. Ein breites Bündnis der Nationalagenturen, dem Europäischen Jugendforum, der AGJ, dem Nationalen Beirat für das EU-Programm Jugend In Aktion und auch der Bundesministerien für Bildung und Wissenschaft sowie für Familie, Senioren, Frauen und Jugend kritisiert „Erasmus für Alle“ in seiner derzeitigen Form.
Die Glaubwürdigkeit der EU in der Jugendpolitik steht auf dem Spiel: Die EU Jugendstrategie sieht genau die Aktionsfelder vor, die im neuen Jugendprogramm fehlen. Die Servicestelle Jugendbeteiligung fordert eine Orientierung an dieser Jugendstrategie und ihren Zielsetzungen, zumindest einen erkennbaren und ressourcengestützten Jugendzweig im neuen Programm „Erasmus für Alle“. Dieses Kapitel sollte ein festgelegtes Budget und klare politische und pädagogische Richtlinien enthalten sowie Aktionsmöglichkeiten und Zielgruppen deutlich definieren. Außerdem ist die Fortführung des begleitenden Programmausschusses und der Nationalagentur „Jugend für Europa“ für eine erfolgreiche Umsetzung der EU-Jugendstrategie unabdingbar.

Das Europäische Jugendforum stellt mit seiner Kampagne für ein eigenständiges Jugendprogramm genau die richtige Frage: Where are you(th) going? Ohne die Beachtung der jugendlichen Bedürfnisse und ihrer Wünsche an die Zukunft, aber auch die Unterstützung ihrer kreativen Ideen, wollen wir die Antwort darauf gar nicht erst wissen.


Begründung: Der Vorschlag der Kommission: Die richtige Frage falsch beantwortet

Der Vorschlag der EU-Kommission sieht vor, für die neue Programmgeneration ab 2014 wesentliche Umverteilungen der Gelder und Prioritäten zugunsten der Interessenlage der Wirtschaftsstrategie „Europa 2020“ durchzuführen.

Für den Jugendbereich bedeutet dies, dass:
1. Kein eigenständiges Programm mehr existieren soll.
2. Projektförderungen für Jugendinitiativen, Jugenddemokratieprojekte und Projekte des Strukturierten Dialogs weitestgehend wegfallen würden.
3. Gerade freie Jugendinitiativen, die sich von jungen Menschen ad hoc bilden und keine juristischen Personen sind, die sich aber mit europäischen Themen und Werten auseinandersetzen, dadurch kaum noch finanzierbar werden.
4. Die Verantwortung die Förderung demokratischer Werte durch informelles und non-formales Lernen den Bildungsministerien zugeordnet werden soll: das Engagement junger Menschen wird auf Lernerfahrungen reduziert.
5. Die jugendpolitischen Instrumente zur Umsetzung der EU-Jugendstrategie in Deutschland, wie in ganz Europa, stark beschnitten werden.

Die Begründung für ihren Vorschlag beginnt die EU-Kommission mit dem Hinweis auf die aktuellen „ökonomischen und finanziellen Krise[n]“ Europas und die damit verbundene Notwendigkeit das vorhandene „Humankapital“ besser zu nutzen. Um dies zu erreichen sollen aus mehreren bisher bestehenden Programmen die vier Bereiche - Bildung, Ausbildung, Jugend und Sport - zu einem Mammut-Programm zusammengefasst werden. Der größte Teil des Budgets (66%) soll der sogenannten Lernmobilität zugeschrieben werden, deren vorderste Zielrichtung die Förderung der Beschäftigungsfähigkeit bleibt und die zu einem hohen Prozentsatz eine Individualförderung ist. Für lern- und austauschorientierte Kooperationen (26%) und Politische Reformen (5%) ist nur noch ein wesentlich kleinerer Teil vorgesehen. Mit dieser Reduzierung des europäischen Engagements für Werte wie aktive Bürgerschaft, Solidarität und Demokratieverständnis drückt sich ein deutlicher Rückschritt zu dem Verständnis der 90er Jahre, nämlich der EU als Markt- und Wirtschaftsunion, aus. Aus unserer Sicht ist jugendliches Engagement für europäische Werte, für ein interkulturelles, europäisches Bewusstsein – auch im eigenen Lebensumfeld – für sich selbst genommen ein beachtenswerter Schatz. Wir fordern daher ein Europa, dass seine Bürger_innen, ihre Ideen und ihre Kreativität ins Zentrum rückt, um gemeinsam und partizipativ die gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen zu lösen. Wir glauben nicht, dass die Europäische Kommission mit einer Ausrichtung von gestern die Fragen der Zukunft beantworten und den Hoffnungen einer jungen europäischen Generation gerecht werden kann.

Im Namen aller Unterzeichner.

Berlin, 27.03.2012 (aktiv bis 26.06.2012)

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